Ein Leben für die Schiffstechnik

Für ein besseres Verständnis des spezielles Entwicklungsweges eines sehr angesehenen Schiffsingenieurs erscheint es angebracht, die zeitgleichen gesellschaftlichen Begleitumstände darzustellen.
Nach dem Ende des II. Weltkrieges bemühten sich die beiden, von gegensätzlichen gesellschaftlichen Verhältnissen geprägten deutschen Staaten, um einen raschen Aufbau ihrer maritimen Wirtschaft. Schnell sollten die für die Hochseefischerei, Handels- und Technische Flotte benötigten gesunkenen oder schwer kriegsbeschädigte Fahrzeuge instand gesetzt oder durch Kauf neuer oder gebrauchten Schiffe in Fahrt gebracht werden.
Ebenso galt es, die vorhandenen, meist kriegszerstörten Werften produktionstüchtig herzurichten bzw. neue "aus dem Boden zu stampfen". Gleiches trifft für die maritime Zulieferindustrie und die Seefahrtbildungseinrichtungen zu.
Für die personelle Besetzung suchten alle Reedereien in beiden deutschen Staaten einsatzfähige, gewillte und natürlich berufserfahrene Seeleute aller Bereiche, besonders aber Schiffsoffiziere. Bedingt durch die gesetzlich vorgeschriebene Seefahrtzeit, die vor dem Besuch einer zugelassenen Seefahrt- bzw. Ingenieurschule abzuleisten war, stand eine ausreichende Anzahl von Nachwuchskräften, die die verdienstvollen Altvorderen ersetzen konnten, aber erst nach 4 oder 6 Jahren nach Ausbildungsbeginn zur Verfügung. Um die erhebliche Lücke zwischen Bedarf und Bestand an Schiffsingenieuren in der DDR-Handelsflotte zu mindern, wurde ein einmaliger Weg in der deutschen Seeschifffahrt beschritten.
Den verdienstvollen Schiffsingenieuren Ernst Dedow, Deutsche Seereederei Rostock (DSR), Albert Glass, Fischkombinat Rostock (FKR) und Julius Adler, Ingenieur-Schule Warnemünde, gelang es mit wohlwollender Unterstützung durch das Seefahrtsamt der DDR, erstmalig einen in der deutschen Seeschifffahrt völlig neuen Weg der Schiffsingenieurausbildung zu suchen und dann auch zeitlich begrenzt zu praktizieren.

Es galt die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Absolventen von ausgewählten Ingenieurschulen und Universitäten angeworben und dann zunächst im einem fünfzehnmonatigen Bordpraktikum mit der Seefahrtspraxis vertraut gemacht werden. Anschließend war in einen sechsmonatigen Sonderlehrgang das spezifische Fachwissen eines Schiffsingenieurs zu erwerben. Eine Verfahrensweise, die von nicht wenigen der sogenannten Jungingenieure vieler ingenieurtechnischer Bildungsstätten mit Interesse aufgenommen wurde.
So auch im Jahre 1959 beim Absolventen der Universität Rostock

Alfred Strauch

Nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung zum Betriebsschlosser im Braunkohlenwerk Espenhain im Jahre 1950 war er noch 1 Jahr in diesem Beruf tätig. Die Eingangsvoraussetzungen für ein angestrebtes Studium an der Sektion Schiffbautechnik der Universität Rostock (von September 1953 bis Januar 1959) erwarb er an der Arbeiter- und Bauern- Fakultät (ABF) der Technischen Hochschule Dresden.
Immer an der Seeschifffahrt interessiert, reagierte er umgehend auf das außergewöhnliche Angebot der DSR und musterte Ende Januar 1959 als Maschinenassistent auf dem Dampfschiff "Rostock", danach auf dem Küstenmotorschiff "Ahrenshoop" und auf dem Tankschiff "Schwarzheide" an.

Als einer der ersten Diplomingenieure besuchte er 1960 den neu eingeführten C6-Sonderlehrgang. Zum allgemeinen Verständnis sei hier angefügt, dass gestützt auf eigene Recherchen, sich etwa 160 Maschinenbau-Ingenieure für eine derartig berufliche Weiterentwicklung entschieden hatten.

Als Wachingenieur durchlief Alfred Strauch die Bordpraxis vom vierten Ingenieur bis zum Leitenden Ingenieur. Er fuhr auf mehreren Typ-IV-Schiffen, dem Urlauberschiff "Fritz Heckert", den Massengutschiffen "Vockerode" und "Thale" und dem MS "Quedlinburg".

Aus familiären Gründen wechselte er in die Verwaltung der DSR und wurde nach kurzer Einarbeitung rasch mit höheren Leitungsaufgaben betraut. Alfred Strauch war Wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Abteilungsleiter des Flotteneinsatzes und arbeitete als Direktor im Flottenbereich Asien/Amerika.
Bemerkenswert ist sein zwischenzeitlicher Bordeinsatz 1976/77 als Chief Engineer zur Einweisung der irakischen Besatzung des MV "ALKINDI".

Alfred Strauch

Nach der Privatisierung der DSR konnten und wollten die neuen Eigentümer nicht auf sein anerkannt hohes Fachwissen sowie sein beispielhaftes berufliches Engagement verzichten.
Nur kurz sei angedeutet, dass er als Leiter der Passagierschifffahrt, als Bereichsleiter Ship Operation, als Leiter Marine Operation, Vice President Newbuildings, Leiter Vorbereitung River Cruises und Geschäftsführer bis Eintritt in den verdienten Ruhestand als diplomierter Schiffstechniker hohe Leitungspositionen in einer nun marktwirtschaftlich ausgerichteten deutschen Seewirtschaft bekleidet hat.

Er trat sehr sicher, ruhig und überlegt auf. Besonders ist sein hohes Durchsetzungsvermögen zu würdigen.
Wie selbst vorgelebt, verlangte er von den unterstellten Mitarbeitern ein hohes Maß an Disziplin und zügige Erledigung der übertragenen Aufgaben.
Sehr direkt und unüberhörbar äußerte er sein Missfallen bei unsachlich fachlichen sowie gesellschaftlichen Debatten.
Klar, dass es Einige gibt, denen das nicht besonders gefallen hat.
Viele, so auch die Autoren, erlebten ihn als einen Fachkollegen, mit dem man in gegenseitiger Achtung relativ schnell einen gemeinsamen Standpunkt finden konnte.

Die Teilnahme am monatlichen Stammtisch war für Alfred Strauch ein Bedürfnis und eine besonders angenehme Abwechslung. Er war ein interessanter Gesprächspartner mit Logik, Verstand, umfangreichem Fach- sowie Allgemeinwissen und sehr gutem Erinnerungsvermögen.

Die Mitglieder des "Vereins der Schiffsingenieure Rostock" waren sehr betroffen, als sie zur Kenntnis nehmen mussten, dass Alfred Strauch mit 91 Jahren am 29. Juli 2025 nach kurzer Krankheit seine letzte große Reise angetreten hat.

Er wird einen ehrenden Platz in unseren Erinnerungen behalten.

H. Zimmermann und A.C. Marnau



Dipl.-Ing. Ralf Griffel / webmaster@vsir.de / 20.10.2025