Mit dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ging eine durch die Siegermächte bestimmte Trennung von zwei gesellschaftlich sehr gegensätzlich ausgerichteten Staaten zu Ende. Zur bleibenden Erinnerung über dieses von Niemand erwartete, friedliche Zusammenfinden aller Deutschen in einem gemeinsamen Staat wurde der 3.Oktober zum "Tag der Einheit" erklärt.
Der Corona-Pandemie geschuldet, fanden auch in diesem Jahr die Festveranstaltungen nur in kleinerem Rahmen statt. Geblieben sind jedoch die in allen Medien üblichen und natürlich ausführlichen Berichterstattungen über tatsächlich vorhandene, lediglich empfundene oder eigen interpretierte Mängel bei den Maßnahmen zur Erreichung der von ranghohen Politikern lauthals versprochenen "blühenden Landschaften". Dabei wird nach Auffassung des Autors viel zu wenig auf viele gute und sehr oft sehr geräuscharm vollzogene Vereinigungen von Institutionen, Berufsgruppen und Bildungseinrichtungen aufmerksam gemacht.
Hierzu gehört auch der Zusammenschluss der ost- und westdeutschen Schiffsingenieur-Vereine.
Bereits mit der Entwicklung der handwerklichen Berufe schlossen sich diese in sogenannte Zünfte, in Rostock "Gewett" genannt, zur Durchsetzung und nachfolgenden Absicherung ihrer Berufsinteressen zusammen. Dabei spielten ebenfalls breitgefächerte soziale Komponenten eine bedeutende Rolle.
In der Seeschifffahrt waren es anfangs die Händler, in Personalunion auch Reeder, späterhin zugleich Schiffsführer/Kapitäne, die zur Minderung der Verluste bei Seeunfällen jeglicher Art sowie zur materiellen Sicherstellung der Angehörigen bei Krankheit und Tod sich in speziellen Gemeinschaften, manchmal auch Bruderschaften genannt, in fast allen bedeutenden Hafenstädten an Ost- und Nordsee zusammen fanden.
Mit dem Wechsel von der Segel- zur Dampfschifffahrt ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit technisch ausgebildetes Personal (Heizer, Maschinisten, Ingenieure) für den Betrieb, die Wartung und Instandsetzung der eingesetzten, immer leistungsstärker und umfangreicher werdenden Anlagen und Systeme an Bord ein zu setzen.
Auch diese organisierten sich zur Durchsetzung ihrer ganz spezifischen beruflichen und sozialen Forderungen gegenüber ihren Arbeitgebern vor allem in den Hafenstädten der deutschen Ost- und Nordseeküste.
So können die Rostocker Fachkollegen mit Stolz darauf verweisen, dass bereits im Jahre 1893 der "Maschinisten-Verein für Rostock und Umgebung" seine Tätigkeit aufnahm. Ein Beitritt zum "Verband Deutscher Schiffsingenieure und Seemaschinisten" mit rund 6000 Mitgliedern erfolgte 1924. Dieser Verband schloss sich dem gewerkschaftlich orientierten "Allgemeinen freien Angestelltenbund" an und wurde in der Zeit des Nationalsozialismus aufgelöst.
Erst mehrere Jahre nach Ende des schrecklichen Weltkrieges konnte in den beiden sich im Jahre 1949 gebildeten deutschen Staaten schrittweise mit dem Wiederaufbau der Handelsschifffahrt begonnen werden. Das benötigte technische Personal bestand auf beiden Seiten aus Fachkräften, die bereits vor Kriegsbeginn auf Frachtschiffen gemustert waren oder maschinentechnische Ausbildungen in der Kriegsmarine erworben hatten.
Verständlich, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) erst 1953 die ersten neuen Berufsvereinigungen der Schiffsingenieure in Hamburg, Bremen, Bremerhaven und Flensburg bilden konnten.
Anders verlief die Entwicklung in der DDR. In dem nach sowjetischem Vorbild nacheifernden Gesellschaftsmodell waren eigenständige Vereine jeglicher Art unerwünscht und deren Bestehen in keiner eigenen Rechtsvorschrift verankert.
Es ist einigen standesbewussten, bereits älteren Rostocker Schiffsingenieuren zu danken, dass sie sich beim zwangslosen sonntäglichen Frühschoppen mit dem erhaltenen Stammtisch des "Verbandes deutscher Schiffsingenieure von 1914" von 1955 bis etwa zur Selbstauflösung im Jahr 1978 in verschiedenen Gaststätten trafen.
Die bereits an der Ingenieurschule in Warnemünde ab 1953 in beschränkter Anzahl ausgebildete jüngere Generation der Schiffsingenieure hätte sich unter dem Dach der sozialistisch ausgerichteten "Kammer der Technik" in den zuständigen Betriebssektionen zusammenfinden können. Unattraktiv waren fehlende, stets gewünschte gesellige Zusammenkünfte sowie viele ehrenamtlich zu übernehmende Daueraufgaben, wie die Förderung der Jugendlichen und Frauen in der Neuererbewegung oder bei der Teilnahme an der "Messe der Meister von Morgen" (MMM).
Selbstverständlich gehörten dem Lehrkörper der Fachschule in Warnemünde auch mehrere Schiffsingenieure an. Sie waren es, die einmal jährlich einen "Tag des Schiffsingenieurs und Seemaschinisten" organisierten. Aus der Einladung vom 30. November 1959 ist ersichtlich, dass unter anderem der Oberingenieur Dirks über die "Schraubencharakteristik bei Mehrmaschinen-Antrieb" sowie Schiffsingenieur Müller über "Regelung und Automatisierung im Betrieb" zeitlich aktuelle Themen in ihren Vorträgen behandelten.
Im Ergebnis der "Friedlichen Revolution" im Jahre 1989 folgten im Dezember gleichen Jahres in der DDR demokratische Neuwahlen.
Die nun gebildete, letzte DDR-Regierung unter Lothar de Maiziere hob viele bisherige Einschränkungen auf.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich umgehend vielerorts neue Vereine bildeten oder bereits bestandene reaktiviert wurden. Die Gunst der Stunde nutzend, begann eine Initiativgruppe von 5 Rostocker Schiffsingenieuren unter Leitung von Harald Kohn für die Wiederbelebung des "Vereins der Schiffsingenieure zu Rostock" bevorzugt in den Reedereien, der maritimen Industrie sowie in den Bildungseinrichtungen zu werben.
Es galt die dazu erforderlichen rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Bereits zu DDR-Zeiten geknüpfte Verbindungen zu den Berufskollegen in Hamburg und Bremerhaven nutzend, wurden mit deren Unterstützung auch diese bisher ungeläufigen Anforderungen im Schnellgang erledigt. Für die tatkräftige ideelle, aber auch nicht unbeträchtliche finanzielle Hilfe, besonders durch die Fachkollegen Gosch und Kunik aus Hamburg und Könecke aus Bremerhaven, sei auch an dieser Stelle wiederum herzlich gedankt. Damit war es möglich, bereits vor der Unterschriftsleistung zum deutschen Einigungsvertrag den Rostocker berufsständischen Berufsverein mit Datum vom 28. Mai 1990 wieder zu gründen. Großen Wert legte der neu gewählte Vorstand auf eine baldmöglichste Aufnahme in den bestehenden Dachverband. Bereits am 28. September 1990 wurde durch mehrheitlich gefassten Beschluss dem gestellten Antrag stattgegeben. Das heißt, dass bereits vor der staatlichen die Vereinigung innerhalb der Schiffsingenieure vollzogen wurde.
All das kann als ein gutes Beispiel für eine rasche, ohne Vorbehalte und Bevormundungen stattgefundene Wiedervereinigung angesehen werden.
Vorsichtsmaßnahmen gegen die Weiterverbreitung der Corona-Pandemie zwangen im Vorjahr dazu, die vorgesehenen Festveranstaltungen zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit sowie zum Bestehen des VSIR abzusagen.
Zu den Besonderheiten, auf die die Gründungsmitglieder sich einstimmig festgelegt haben, zählen die gewünschte Mitgliedschaft aller technischen Schiffsoffiziere unabhängig von der Höhe des Patentes oder der bordseitigen Einsatzzeit auf Fischerei-, Fracht- oder maritim-militärischen Schiffen. Den hohen Anteil der Elektro- und Kältetechnik an Bord jeglicher Schiffe berücksichtigend, wurden gerne bei Interesse auch die technischen Schiffsoffiziere aus diesen Ressorts aufgenommen. Strikt wurden erneute Bindungen zu politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen abgelehnt.
Die Bewertung der Antragsteller hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Engagements während der DDR-Zeit wurde ausschließlich den dazu neu geschaffenen Organen überlassen.
Den Wünschen vieler Mitglieder nachkommend, wurde großer Wert auf ein monatliches Treffen in geselliger Runde (Stammtisch) gelegt. Das bot zusätzlich eine günstige Möglichkeit, im persönlichen Gespräch Informationen und Wünsche mit den Vorstandsmitgliedern auszutauschen.
Bereits seit 1995 trägt der Rostocker Ortsverein im Rahmen der "Hanse Sail" die organisatorische Verantwortung für das einmalig in Europa stattfindende "Engineer´s Reception".
Es ist ein Treffen der Technischen Besatzungen der Gastschiffe, wo nicht nur zu "Speis und Trank" sondern auch zum Mitsingen der von bekannten Shanty-Chören vorgetragenen Seemannsliedern eingeladen wird.
Gut besucht ist auch der bereits seit 1973 bestehende "Treff der Schiffsbetriebstechniker".
Bis zu viermal jährlich werden mit dankenswerter Unterstützung der Leitung der Warnemünder seefahrtsorientierten Bildungseinrichtung in seinen Räumen diese Weiterbildungs- und Informationsveranstaltung durchgeführt.
Gefragt und gut besucht sind auch Ausflüge zur Besichtigung von Werften und Betrieben der maritimen Zulieferindustrie sowie der gemeinsame Besuch von Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen.
Eine im älteren Sprachgebrauch übliche Bezeichnung für die Schiffstechniker aufgreifend, wird vom Vorstand zum krönenden Abschluss der Jahreshauptversammlung der gern angenommene "Heizerball" organisiert.
Bereits kurz nach Wiedergründung wurde mit dem Vorstand des Hamburger Ortsvereins vereinbart, dass keine eigene Vereinszeitschrift in Leben gerufen werden sollte, sondern der Rostocker Verein sich im "Schiffs-Ingenieur-Journal"/Hamburg einbringen konnte.
Anfangs kostenfrei, dann mit moderatem Preis, wurden alle Rostocker Vereinsmitglieder in die Verteilerliste mit aufgenommen. Natürlich waren den DDR-Schiffsingenieuren die in der BRD publizierten Fachzeitschriften bestens bekannt. War es doch üblich, dass in den Häfen und Werften Westeuropas die Agenten gerne als kleines Präsent dem Kapitän die "Hansa" und dem Chief das "Journal" überreichten. In bekannter Abfolge nach Dienststellung konnten sich dann auch die Wachleiter Deck und Maschine über das Neueste aus dem jeweiligen Fachgebiet informieren.
Mit gebührender Anerkennung darf an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass nach der anfangs üblichen "diskreten" Zurückhaltung eine beachtliche Anzahl von Rostocker Schiffsingenieuren mit ihren "zu Papier gebrachten" Erinnerungen von Erlebnissen mit dazu beigetragen haben, die einzelnen Ausgaben des "Journals" interessant zu gestalten.
Lobende Anerkennung erhielt der Autor in einem persönlichen Schreiben vom Vorsitzenden des Hamburger Vereins für seinen Beitrag "Der technische Schiffsbetrieb und seine Reflexion in den Medien" (Nr.302, Febr. 2006).
Dieser wurde auch vom "Antrieb" in Bremerhaven übernommen.
Dass bisher relativ wenige Beiträge von noch jüngeren und voll im Berufsleben stehenden Vereinsmitglieder erschienen sind, kann bemängelt werden, ist aber meist den überall vorherrschenden hohen Arbeitsbelastungen der Einzelnen geschuldet.
Tatkräftig unterstützten als Vertreter des VSIR die Herren Rachow und Bernhardt die Arbeit des VDSI und übernahmen im üblichen Turnus den Vorsitz dieses Gremiums.
Als eine besonders gut gelungene Zusammenarbeit von 31 deutschen Schiffsingenieuren muss der auf Initiative von Herrn Taggesell im Jahre 2001 gebildete Arbeitskreis beim "Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven" (DSM) angesehen werden.
Auch der Autor konnte als Vertreter des VSIR durch Zuarbeiten über den beruflichen Zusammenschluss, die Aus- und Weiterbildung von Schiffsingenieuren und Seemaschinisten in der DDR sowie über landseitige Berufsperspektiven zum guten Gelingen beitragen.
Im Ergebnis erschien nach rund vierjähriger intensiver Arbeit dieses Buch als Band 64 in den "Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums". Optisch sehr ansprechend erfolgte Druck und Vertrieb unter dem nicht gerade präzisen Titel "Diesel, Dampfer und Turbinen" durch den Convent Verlag GmbH, Hamburg.
Erstmalig im deutschen Sprachraum wurden die wechselseitigen Verbindungen zwischen der umfangreichen Schiffstechnik und der Tätigkeit der schiffstechnischen Besatzung, auch für den Nichtfachmann leicht verständlichen, dargestellt. Zudem wurde an vielen Beispielen aus der Praxis auf die hohe Verantwortung der an Bord für die Bedienung, Wartung und Reparaturen stets benötigten technischen Schiffsoffiziere mit vielen Fotos eindrucksvoll hingewiesen.
Auf Anregung der Hamburger Schiffsingenieure entstand die weltweit bekannte, im zweijährigen Turnus stattfindende Leitmesse der maritimen Wirtschaft "Schiff, Maschine, Meerestechnik" (SMM). Diesem Umstand gebührend Rechnung tragend, war und ist der Hamburger Ortsverein auf dieser Messe auch mit einem eigenen Informationsstand vertreten.
Bereits im Jahre 1992 wurden auch die anderen Ortsvereine im VDSI gebeten, sich in die Standbetreuung einzubringen. Ziel sollte auch sein, einen Treffpunkt für alle Kontakt suchenden Berufskollegen anzubieten, unmittelbar und direkt über die örtliche Vereinsarbeit zu informieren und natürlich für eine dringend erforderliche "Verjüngungskur" der Mitglieder aller Ortsvereine zu werden.
Durchgehend bis 2018 waren nicht nur die Rostocker Vereinsvorsitzenden Köstler bzw. Junge, sondern zeitweilig noch weitere VSIR Mitglieder mit großem Engagement im Einsatz.
Nicht unerwähnt soll es bleiben, dass es auf Initiative des Hamburger Berufsvereins gelang, bereits 1992 durch Eigenbeitrag oder Hilfe von Sponsoren eine große Anzahl von Freikarten für den Besuch einer VSIR-Gruppe auf der SMM zur Verfügung zu stellen. Das war bei der damals sehr hohen Arbeitslosigkeit und den nicht gerade geringen Eintrittspreisen eine von vielen Mitgliedern eine gern angenommene finanzielle Entlastung, die die Bereitschaft zur Teilnahme beachtlich förderte.
Rostocker Schiffsingenieure konnten sehr schnell und erfolgreich das Erbe ihrer Altvorderen aufgreifen und mit der Wiedergründung des VSIR eine über 130jährige Tradition des beruflichen Zusammenschlusses in Rostock und Umgebung fortsetzen.
Durch Zusammenwirken mit anderen örtlichen maritimen Vereinen und Organisationen hat sich der VSIR im gesellschaftlichen Leben der Hansestadt Rostock einen guten Ruf erworben und durch gute Öffentlichkeitsarbeit beachtlich zum Bekanntheitsgrad des Berufes beigetragen. Daher war es selbstverständlich, dass auch der VSIR sich in den Festumzug anlässlich der 800-Jahr-Feier Rostocks im Juni 2018 einreihte. Durch Teilnahme des Vorstandes des VSIR an gesellschaftlichen Höhepunkten der anderen Ortsvereine festigten sich die Beziehungen unter einander und förderten in hohem Maße das persönliche Kennenlernen der einzelnen Leitungspersönlichkeiten sowie die Achtung vor der jeweiligen Lebensleistung des Anderen.
Aus der Kenntnis über die solide fachliche Ausbildung der DDR-Schiffstechniker sowie dem fast identischen Aufgaben- und Verantwortungsbereich auf Schiffen jeglicher Art erwuchs miteinander ein gegenseitig respektvoller Umgang.
Es kann mit Stolz festgestellt werden, dass die Wiedervereinigung der Berufsvereine der deutschen Schiffsingenieure als beispielhaft bezeichnet werden kann.
Schiffsingenieur Heinz-Jürgen Marnau