Nur gemeinsam ist man stark!

30 Jahre "Verein der Schiffsingenieure zu Rostock e.V."

Historische Entwicklung

Für den Transfer von ideellen Erkenntnissen und handwerklichen Fertigkeiten aus anderen Kulturkreisen sorgten seit Menschengedenken gewinnorientierte und deshalb stets wagemutige Kaufleute. Da der landseitige Warentransport oft sehr lang, beschwerlich und vor allen durch auferlegte Abgaben oder Überfälle mit hohem Risiko behaftet war, wählte man gerne den Transport über die Flüsse oder entlang der Küsten der Seen und Meere. Dazu waren nicht nur kaufmännische Fähigkeiten sondern auch seemännische erforderlich.

Als Zusammenschluss von Kaufleuten zur Absicherung ihrer Interessen soll an dieser Stelle die Hanse genannt werden. Dieser 1358 gegründete Bund von Kaufleuten aus rund 200 Städten in 7 Ländern beeinflusste rund 400 Jahre in hohem Maße das wirtschaftliche Leben der Menschen in der Region von Nord- und Ostsee. Die Führungspersönlichkeiten entstammten den reichsten Kaufmannsfamilien, die auch zunehmend in den Räten der aufblühenden Städte dominierenden Einfluss ausübten.

Zur Durchsetzung spezifischer Eigeninteressen gegenüber den privilegierten Patriziern bildeten sich nicht nur Zusammenschlüsse von handwerklichen, sondern auch seemännischen Berufen. Es entstanden die sogenannten Gilden oder Zünfte wie beispielsweise die der Schiffbauer, Zimmerleute, Segelmacher und der Schiffer. Die Schiffergilden hatten in den einzelnen Hafenstädten verschiedene mit den Räten vereinbarte oder erkämpfte Aufgaben zu erfüllen. Schwerpunkte bildeten beispielsweise die Qualität und der Umfang der Produkte, Schutz des Eigentums, materieller Ausgleich bei erlittenen Schäden an Waren oder dem Schiff (besonders bei Totalverlust), Qualifikation der einzelnen Besatzungsangehörigen, Wachdienste während des Aufliegens während der Wintermonate, sowie die Versorgung von Witwen und Waisen. Dazu gehörten auch Bestimmungen über die Höhe der Beiträge in die Sklavenkasse zum Freikaufen von besonders im nordafrikanischen Mittelmeerraum gefangen genommene oder aus Seenot gerettete, danach versklavten Seeleute.

Besonders durch die sich infolge der technischen Revolution vollzogene Ablösung der Segel- durch die Dampfschifffahrt mit dem Bau größerer und damit teurerer Schiffe begünstigte die zunehmende Trennung von Kaufmann und Schiffsführer (Kapitän). Beide bildeten auch spezielle Berufsvereinigungen, auf die aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Unbestritten ist, dass mit dem zunehmenden Umfang von technischen Anlagen an Bord der Schiffe für das Betreiben, Warten und Instandsetzen hierzu ausgebildetes und befähigtes Personal benötigt wurde.

Seemaschinisten, nun im Range von Schiffsoffizieren, übernahmen die Verantwortung als Wachleiter oder als Leiter der gesamten Schiffsmaschinenanlage. Rasch gründeten sich, ausgehend von einer Hamburger Initiative, in weiteren deutschen Hafenstädten berufliche Zusammenschlüsse. Der 1893 entstandene "Maschinisten-Verein für Rostock und Umgebung" verdeutlicht die berufliche Gemeinsamkeit unserer hier beheimateten Altvorderen. Besonders der rasante technische Fortschritt beim Bau hochmoderner Passagierschiffe mit leistungsstarken Dampfkesseln und -maschinen zwangen auf Druck der führenden Reeder die Regierung des Deutschen Kaiserreiches dazu, ein über das Niveau eines Maschinisten erhöhtes berufstheoretisches Wissen von den technischen Schiffsoffizieren einzufordern.

Per Gesetz wurde zum 1.10.1910 bestimmt, dass ab bestimmten technischen Leistungsparametern die Besetzung der Schiffe nicht mehr durch Seemaschinisten, sondern durch Schiffsingenieure zu erfolgen hatte. Diese neue seemännische Berufsgruppe wollte ebenfalls durch ihre eigene Interessenvertretung ihre Forderungen gegenüber den stets kompakt agierenden Reedern durchsetzen. Hierzu zählten eine angemessene Heuer sowie der Umfang des bezahlten Urlaubs. Schwerpunkte bildeten auch Grundsatzfragen der Würdigung der Dienststellung im Komplex der Schiffsoffiziere, zur Qualifikation sowie Förderung des beruflichen Nachwuchses.

Verständlich, dass nach einigen Jahren der Ausbildung an speziellen Bildungseinrichtungen wie in Hamburg, Stettin aber auch in Rostock! die nun in vielen Häfen ansässigen Schiffsingenieure sich anfangs teilweise eigenständig organisierten, sich den bereits existierenden Maschinistenvereinigungen anschlossen oder dann mit diesen fusionierten. Ein wichtiges örtliches Sachzeugnis stellt ein im heutigen Studentenklub der Hochschule Wismar, Bereich Seefahrt Warnemünde" befindlicher Tisch dar. Auf einer in der Mitte angebrachten Messingplatte befindet sich die Inschrift

Verband Deutscher Schiffsingenieure, Ortsgruppe Rostock. Gegründet bei K. Völcker. Rostock d.5.VI.14

Nur wenige schriftliche Zeugnisse können Auskunft über die Vereinsaktivitäten und den Gesamtumfang der beteiligten Rostocker Fachkollegen geben. Belegt ist jedoch, dass 1924 sich die meisten der deutschen Ortsvereine zu einem gesamtdeutschen Verband mit etwa 6000 Mitgliedern zusammen schlossen, um späterhin dem gewerkschaftlich orientierten "Allgemeinen freien Angestelltenbund" beizutreten.

Sicherlich ist Vielen bekannt, dass gleich nach Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahre 1933 alle gewerkschaftlichen Organisationen zerschlagen wurden. Berufliche Vereinigungen mussten der "Deutschen Arbeitsfront" beitreten. Einberufungen oder Zivildienstverpflichtungen zur Kriegsmarine, Tod, Verwundung und Vertreibung ließen in den Nachkriegsjahren örtliche Vereinsaktivitäten der technischen Schiffsoffiziere nicht mehr zu.

Während in den westlichen Besatzungszonen und dann in der 1949 gegründeten BRD schrittweise auch das berufsständisch organisierte Vereinsleben begann, ließ das politische, nach der Sowjetunion ausgerichtete System im Osten Deutschlands, lediglich einen begrenzt eigenständigen Zusammenschluss der sogenannten technischen Intelligenz im Rahmen der "Kammer der Technik"(KdT) zu. So existierte auch mit geringer Ausstrahlungskraft in fast jedem größeren DDR-Schifffahrtsunternehmen sowie den maritimen Bildungsstätten eine KdT-Arbeitsgruppe "Schiffsbetriebstechnik".
Mit ständigen Aufforderungen zur Erhöhung der Neuerertätigkeit sowie der natürlich ehrenamtlichen Anleitung von Jugendbrigaden blieb wenig Raum für Geselligkeit und fachlichem Ideenaustausch. Kaum verwunderlich, dass besonders die in den Flotten der DDR im Bordeinsatz befindlichen schiffstechnischen Offiziere eine sehr reservierte Haltung an den Tag legten.

Aber sofort nach der politischen Wende wurden die nun neuen Freiheiten von lange darauf Wartenden genutzt, um wieder in Rostock einen eigenständigen Berufsverein mit Datum vom 19. April 1990 ins Leben zu rufen.
Einem alten technischen Grundsatz folgend, musste das Rad nicht völlig neu erfunden werden. Die bereits zu DDR-Zeiten geknüpften Kontakte zu den Ortsvereinen in Hamburg, Bremen und Bremerhaven waren nun bei der Schaffung der vereinsrechtlichen Voraussetzungen außerordentlich hilfreich. Auch die gewährte finanzielle Unterstützung soll an dieser Stelle nochmals dankend erwähnt werden.

Was waren die Ziele? Was wurde erreicht?

Im Kreis der Initiatoren bestand Übereinstimmung darüber, dass der wieder gegründete Rostocker Schiffsingenieur-Verein sowohl gewerkschaftlich als auch politisch neutral zu sein hatte. Als nicht für zuständig wurde die Bewertung der bisherigen politischen Aktivitäten der einen Antrag auf Mitgliedschaft stellenden Berufskollegen angesehen.
Dem allgemeinen technischen Ausstattungsgrad von modernen Schiffseinheiten auf elektrotechnischem, elektronischem und kältetechnischem Gebiet nachkommend, wurde ausdrücklich auch auf die Mitgliedschaft dieser Berufsrichtungen Wert gelegt. Auch sollte es unerheblich sein, auf welchen zivilen oder militärischen Schiffen der Bewerber im Range eines technischen Schiffsoffiziers gemustert war.

Bereits auf der Gründungsversammlung wurden erste Vorstellungen über das Vereinsprofil, die Mitwirkung im Zusammenschluss der deutschen Schiffsingenieure, das lang vermisste Treffen an einem regelmäßig stattfindenden "Stammtisch", die fachliche Weiterbildung durch Teilnahme an Tagungen und Exkursionen sowie die Mitwirkung an der Förderung des beruflichen Nachwuchses entwickelt. Ergänzt durch Wünsche und hilfreiche Hinweise der VSIR-Mitglieder konnte in den verflossenen 30 Jahren davon Vieles erfolgreich umgesetzt werden.

Detailliert wurde darüber in den Festschriften zum 15. und 20. Jahrestag berichtet. Auf eine anknüpfende und ergänzende Zusammenfassung der letzten 10 Jahre wird verzichtet, da im Wesentlichen der Inhalt des Vereinslebens als konstant bezeichnet werden kann. Beweis dafür sind u.a. die durch die aktive Unterstützung unseres kooperativen Mitgliedes Bereich Seefahrt der Hochschule Wismar in deren Räumlichkeit insgesamt stattgefundenen 104 "Treffen der Schiffsbetriebstechniker" (SBT) sowie 106 durchgeführte Exkursionen.

Die bisher mit hoher Einsatzbereitschaft agierenden Vorsitzenden H: Kohn (1990 1992), H. Ziehe (1992 1993), H. Köstler (1993 2006) und D. Junge (2006 jetzt) organisierten mit einem sehr engagiertem Leitungsteam ein interessantes und abwechslungsreiches Vereinsleben. Anerkennend soll an dieser Stelle auch die kurzzeitige, übergangsweise Leitung des Vereins in den Jahren 2005/2006 durch die Fachkollegen G. Felgner und R. Griffel gewürdigt werden.

Über den monatlich stattfindenden, sehr beliebten und gut besuchten Stammtisch in der Gaststätte "Stralsunder" in der Wismarschen Straße von Rostock wurde bereits viel und Lobendes berichtet. Der ausgezeichnete Koch, der auch zu jedem Dezember-Treffen einen sehr leckeren Labskaus anbietet, wurde als Anerkennung zum "Heizer ehrenhalber" gekürt. Hier und auf den Versammlungen wurde bereitwillig das herumgereichte Spendenschiffchen der DGzRS "gefüttert". In den verflossenen 10 Jahren konnte das beachtliche Ergebnis von rund 4.700 Euro erreicht werden. Bemerkenswert auch deshalb, weil die jährliche Mitgliederzahl immer zwischen den Werten 130 bis 170 schwankte und den Stammtischen je nach Jahreszeit und Wetterlage durchschnittlich 35 45 Mitglieder besuchten.

Dass Schiffsingenieure auch neben den eigenen Berufserfahrungen ein breites Interessenspektrum haben, sollen nur kurz die beiden nachfolgenden Beispiele von durchgeführten Exkursionen belegen.
Sehr viel Neues konnten die Teilnehmer aus dem Rostocker Ortsverein bei einem Besuch im Forschungszentrum der Helmholz Gemeinschaft in Hamburg am DESY erfahren. Beeindruckend war die Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeiten am Elektronen-Synchronotron.
Außergewöhnlich war auch die Besichtigung der Pianoforte-Fabrik Steinway & Sons., Hamburg im November 2019. Als Beispiel für die breitgefächerten landseitigen Einsatzmöglichkeiten eines Schiffsingenieurs (Siehe auch "Dampfer, Diesel und Turbinen. Die Welt der Schiffsingenieure" Convent-Verlag 2005) kann in diesem Zusammenhang auf unser Leitungsmitglied Johannes Mende verwiesen werden. Denn dieser war nach Bordeinsätzen als Chief auf Schiffen der DSR und der Reederei Oskar Wehr GmbH, einer landseitigen Tätigkeit als Technologe für die Großinstandhaltung von Reaktoren in einem Kernkraftwerk und letztendlich in der weltbekannten Pianofabrik als Leiter der Betriebsinstandhaltung tätig. Seine guten Kontakte zur Betriebsleitung ermöglichten erst diesen perfekt organisierten Betriebsrundgang.

Einen weiteren Aufschwung konnte in den letzten Jahren die Öffentlichkeitsarbeit verzeichnen. Nachdem sich auch die Ortsvereine in Bremen und Bremerhaven darüber verständigten, keine eigene Vereinszeitschrift mehr zu publizieren und sich, ebenfalls wie der VSIR (seit 1990), dem Bezug des Hamburger "Schiffs-Ingenieur-Journals" anschlossen und diese somit eigene Rubriken erhielten, fanden sich zunehmend mehr Autoren im VSIR bereit, über eigene Erfahrungen oder besondere Erlebnisse zu berichteten.
Die zweifellos gute und kontinuierliche Vereinsarbeit spiegelte sich in mehreren Beiträgen der örtlichen Tageszeitungen wieder. Sie trugen neben mündlichen Informationen unserer Mitglieder an Freunde, Bekannte und anderen seemännischen Berufskollegen zu einem positiven Image des Vereins bei.
Zur guten Reputation der Rostocker Schiffsingenieure trug auch die sehr sachliche und fundierte, mehrmalige Berichterstattung auf der Seeseite der "Norddeutschen Neuesten Nachrichten" bei. Als kleines Vereins-Dankeschön wurde der Wirtschaftsjournalist Reiner Frank mit der Ehrennadel des VSIR ausgezeichnet.

Personell aufwendig, aber weltweit positiv ausstrahlend, ist die seit 28 Jahren durchgehende Mitwirkung an dem jedes Jahr zur "Hanse-Sail" stattfindenden Treffen der Schiffstechniker der Gästeschiffe, dem "Engineer's Reception". Gastwirte und die Rostocker Brauerei sponserten dankenswerter Weise die Speisen und Getränke. Wechselnde Shanty-Chöre aus dem In- und Ausland sorgten für standesgemäße Unterhaltung. Zufriedene Seeleute aus vielen Nationen bestätigten die Teilnahme an dieser Veranstaltung als weltweites Alleinstellungsmerkmal der Rostocker Schiffsingenieure.

Zur guten Tradition hat sich auch die am Abend des Tages der jeweiligen Jahreshauptversammlung anschließende Festveranstaltung, der sogenannte "Heizerball", entwickelt, der in diesem Jahr zum 28. Mal am Ende des Monats Januar gefeiert wurde.

Trotz Freude über das Erreichen der vielen anspruchsvollen Ziele darf nicht unerwähnt bleiben, dass es auch unter hohen Anstrengungen kaum gelungen ist, durch Werbung von jüngeren Fachkollegen das beängstigt ansteigende Durchschnittsalter aller VSIR-Mitglieder von derzeit rund 70 Jahren zu verbessern.
Bereits im 5. Jahresbericht des "Verbandes technischer Schiffsoffiziere e.V., Bezirksverein Rostock von 2. Januar 1919 ersuchte der Vorstand seine damaligen Mitglieder "vor allem die rückständigen Beiträge zu entrichten." Diesem schäbigen Verhalten von Einzelnen ist offensichtlich seit über 100 Jahren auch durch unnötige Zeit und Kosten verursachende Appelle und Mahnungen bis heute nicht zu begegnen. Das klingt hart, darf aber einmal deutlich ausgesprochen werden!

Unbestritten ist, dass sich der VSIR durch eigene Leistungen sowie in kollegialem Zusammenwirken mit anderen maritimen Vereinen und Bildungseinrichtungen eine gesellschaftlich anerkannte Position im gesellschaftlichen Leben in Rostock und seinem Umland erworben hat.

Gemeinsam mit Vertretern der anderen deutschen Schiffsingenieur-Vereine sowie mit Gästen aus den örtlichen maritimen Interessenvertretungen und Bildungsstätten sollte am 24. April 2020 im Rahmen einer speziellen Fachtagung das 30-jährige erfolgreiche Bestehen auf dem Traditionsschiff "Dresden" des "Schiffbau- und Schifffahrtmuseums" in Rostock-Schmarl festlich begangen werden.

Schiffsingenieur A.C. Marnau




Dipl.-Ing. Ralf Griffel / webmaster@vsir.de / 30.04.2020